iLLBiLLY HiTEC „Reggaetronics“

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Was ist das nur immer mit Berlin und dem Offbeat? Scheint hier die Sonne wie in Kingston, Jamaika? Nee. Könnte man sagen, Reggae, Ragga, Dancehall oder Dub gehören zur klassisch Berlinischen Musiktradition? Eigentlich nicht. Und doch scheint gerade dieses Repertoire im dicken B soviel Strahlkraft zu besitzen, pumpen Bands wie Culcha Candela, Seeed und zahllose andere Kombos seit über einem Jahrzehnt breitgefächerte Bässe in die Venen dieser Stadt. iLLBiLLY HiTEC sind auch so ein Fall. Der Name klingt erst einmal paradox, passt aber wie die bekanntliche Faust auf’s Auge. Denn die beiden DJs pimpen traditionelle Offbeat-Komponenten mithilfe feinstem Elektronikgebratze zu schön kantigen Reggaelectro-Karosserien. Auch wenn sie hierzulande nur wenige kennen, haben sich die Jungs durch Tourneen in Europa, Südamerika, Indien, Japan und Thailand bereits weltweit eine treue Fanbase erarbeitet. Die Liste der Kollaborationen, von Ce’cille aus Jamaika, Tribuman aus Frankreich bis zu Dactah Chando aus Teneriffa, liest sich daher inzwischen wie ein Who-is-who der internationalen Szene.

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Denn iLLBiLLY HiTEC sind kein Soundsystem, das sich auf der Bühne trübe hinter den Reglern versteckt. Dank Live-Drums und hauseigenem Band-MC sind sie eine Bühnengewalt, die nach der Welt greift. Besagter MC Longfingah ist zudem Meister seines Fachs und hat das Jamaika-Kreolisch so tief intus, dass er eigentlich von klein auf mit Patwa-Vokabelhefter unterm Kopfkissen geschlafen haben muss. Wer so daumendick auftischt, verschafft sich Gehör und Anerkennung. Nun ist der längst fällige musikalische Ritterschlag erfolgt: Nicht nur, dass die Jungs derzeit der einzig offizielle Remix-Hoflieferant für Berlins royale Stadtaffen Seeed sind. Nein, Lee “Scratch” Perry – seineszeichens Cheftondreher der Black Ark Studios und damit quasi Mitbegründer von Reggae bis Dub – hat der Kombo die geweihte Dubsolution erteilt.

iLLBiLLY HiTEC “Reggaetronics” erscheint am 22.02. bei Echo Beach

Soundgarden „King Animal“: Warum Chris? Warum?

Mal ganz ehrlich:

Gibt es eine Reunion einer Band, die zu Gutem geführt hat? Mir mag grad kein positives Beispiel einfallen. Vielleicht bin ich auch nur so fatalistisch, weil ein weiterer Heldenmythos endgültig entzaubert worden ist. Als hätte ich’s nicht schon geahnt. Und sagt nicht, ich hätte es nicht versucht.

SOUNDGARDEN  waren neben Nirvana die Posterboys meiner Generation, die in den Ausverkauf eines Genres – Grunge – hineinplatzte, der Seattle-Sound. Speziell Chris Cornell war einer meiner Jugendhelden. Eine Stimme und ein Sound, den ich überall erkannt hätte. Unverwechselbar. Ob nun mit Temple of the Dog und ihrem selbstbetitelten und einzigen Album, Soundgardens „Badmotorfinger“ und „Superunknown„, ja selbst das erste Soloalbum Chris Cornells, „Euphoria Morning„, ich habe sie alle, gehört, geliebt, für gut befunden.

Es gibt aber musikalische Entscheidungen, da will ich Cornell rückwirkend die Gitarre auf die Finger kloppen, um mich und die Musikwelt vor noch Schlimmerem zu bewahren. Auch irgendwie aus Sympathie zu Cornell selbst, ihn vor noch mehr allzu peinlicher Bloßstellung abhaltend. Ist ja schließlich ein früheres Idol. Er wusste nie, wann es genug ist, ab wann es peinlich wird. Seien es die letzten beiden Audioslave-Alben. Das erste klang wenigstens noch interessant, nach Rage Against The Machine mit neuem nasalen Sänger, der wie Soundgarden klingt. Und dann folgte nur noch abgeschmacktes Songwritergedöns mit viel Attitüde, aber wenig musikalischer Qualität, dass, wären sie nicht alle, wer sie sind, nie auch nur irgendeinen interessiert hätte. Warum schleicht sich bei alternden Bands, die früher durch gutes Songwriting bestachen, die Reim-Dich-oder-ich-fress-Dich-Texterei ein?

Oder nehmen wir sein zweites SoloalbumCarry On„, marktanbiedernd und belanglos, garniert mit Michael Jackson-Coverversion oder seinem James Bond-BeitragYou know my Name. Die Reinszenierung einer Rockpose, die nicht mehr zünden wollte. Wie einfallslos geht’s denn noch? Und noch während der Frage denke ich gleich „Ach ja, da war ja was“.

Da wäre nämlich noch sein sicherlich als mutig verstandenes Album „Scream„, von Timothy „Timbaland“ Mosley produzierte Elektronik Pop-Soundscapes, garniert mit Gastbeiträgen von unter anderem … Justin Timberlake? What the … ?

Nicht, dass man mich jetzt falsch versteht: Chris Cornell ist immernoch ein guter Frontmann, Soundgarden eine enorm gute Band, die zu Recht Musikgeschichte geschrieben hat. Aber muss das jetzt recycelt werden? War Badmotorfinger mit „Jesus Christ Pose„, „Outshined“ oder „Rusty Cage“  wegweisend, ist „King Animal“ nur noch austauschbare Stangenware, quasi das abgetragene H&M-Bandshirt ohne wirkliches Rockprestige, mit dem an alte Zeiten angeknüpft werden soll. Alte Zeiten, die Cornell selbst schon, seitdem das Genre mit „Grunge“ einen Namen fand, als überlebt ansah. Da fragt man sich dann doch unweigerlich: Warum dann das jetzt reanimieren, Chris, warum?

Musikalische Feldforschung mit Baroness‘ „Yellow & Green“

Der eingefleischte Musikfan kann ja ein ziemlich nervig undankbarer Zeitgenosse sein. Denn skurrilerweise fürchtet er bei seiner Herzensband die Veränderung ebenso wie die Stagnation. Tätowiert man sich also nicht bei Bandgründung die Grenzüberschreitung bereits auf die Stirn und preist in allen Interviews, man lasse sich musikalisch nicht festlegen, ist der Aufschrei groß, wenn die gewohnte musikalische Baustelle plötzlich verlassen wird. Tendenziell ist spätestens das verflixte dritte Album der Auslöser dieses Phänomens und Ursache vielzähligen Mordio-Gezeters. Auch BARONESS steht mit ihrem dritten – und auch gleich vierten – Album „Yellow & Green“ ein schwerer Gang bevor. Erneut.

Ihr derzeitiges Doppelalbum scheidet die Gemüter schon vorab, ist es doch nach den bollernden Sludge-Metal-EPs „First“ und „Second“ und den proglastigen Gniedel-LPs „Red“ und „Blue“ eine weitere Abkehr vom gewohnten Sound in noch eingängigere Rockgefilde. Wer weiß, wie schwer sich die Metalwelt teils mit kleinsten Veränderungen tut, ahnt, was gerade Baroness als gelobtem Flakgeschütz des Prog- und Sludge-Metallischen nun erwartet.

Nicht selten sorgt ein Sound-Wechsel für Existenzängste und „Ausverkauf“-Rufe bei den Fans. Und als wäre das nicht schon genug, kommt es kommt auch noch schlimmer. Neben bewährt bollernder Schlagkraft und gegröhlten Stadionhymnen enthält das neue Material der Saitenschinder aus Georgia auch noch tanzbare Uptempo-Discobeat-Nummern, auf die Paul Smith spätestens nach dem letzten Maximo Park-Album neidisch wäre. Und als gäbe es noch etwas draufzusetzen, spielt John Baizley mit seinen Mannen plötzlich – Balladen (!). Die erlauben sich was! Da wird so manchem Liebhaber ihres sludgig dröhnenden Frühwerks sicher vor Erbostheit der Bienenzüchterbart abfallen.

Wer Prog weiterhin aber als das versteht, was es ist, kreativ vertracktes Erprobungsfeld musikalischer Grenzen und Gniedelspielplatz für vorallem beteiligte Musiker, dem bleibt zu sagen: Auf Probanden, zur musikalischen Feldforschung!