LaBrassBanda in der Großen Freiheit, Hamburg

LaBrassBanda
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Laut Wikipedia drückt man im emsigen Genrewahn LaBrassBanda in die Rubrik „Neue Volksmusik“, um sich trotz verquaster Begriffsschwammigkeit sagen zu können: „So, das hätten wir. Die sind jetzt erstmal definiert!“

Das Wort ‚Volksmusik‘ an sich löst in mir jedoch nun nicht gerade die besten Assoziationen aus. Ich fühle mich da eher an dröge elterliche Fernsehabende voller Bergpanorama erinnert, an autarken Genpool, an seelenlose Trachtenzombies, die grienen, als wäre LSD im Trinkwasser, die im steten Loop fortwährend armen Rentnern im Tausch gegen den klaren Verstand das Heile-Welt-Feeling vorbeten, als hieße es, ihnen Heizdecken anzudrehen. Kurz: gespanntes Verhältnis, der Horror auf Erden, fern jeden Geschmacks und jeder Alltagsrealität. Kein gutes Leumundszeugnis also.

Große Freiheit 36 in Hamburg

Auch sonst musste ich mich eher überraschen lassen, hatte ich doch bis auf „Nackert“ nichts so recht mit der Band assoziieren können. Das hat sich nach diesem tanzwütigen Abend in der Großen Freiheit 36 nun schlagartig geändert. Der eine oder andere mag jetzt bedächtig abwinken und mit dem Hinweis auf deren Teilnahme am Eurovision Song Contest 2013 oder ihren Support für Bands wie Die Toten Hosen oder Die Ärzte etwas von Ausverkauf und Popmusik heranführen. Das würde der Band jedoch nicht gerecht.

Ich gebe es zu, auch ich bin ein Musiknazi, leichtfertig in meinem Urteil, hin und wieder auch vorab. LaBrassBanda haben mich jedoch wieder einmal eines Besseren belehrt. Von Hip Hop bis Jazz, Balkan Brass bis Humpa, Reggae, Ska oder Dub, egal, geht alles, können sie alles. Und ist erst einmal der Reiz überwunden, sich zu fragen „Hä, was singt der da?“ und fängt man an, sich einfach mit der Musik gehen zu lassen, so lässt sich sagen:  Auch wenn ich bezweifle, dass sich die verschwitzte Stimmung im Saal der Großen Freiheit 36 so auf Platte pressen lässt, ohne einzudampfen: Live sind die fünf Überseer (Oberbayern) – durch Percussionisten und zusätzlichen Trompeter zum Septett aufgebockt – eine echte Macht, die sich alles einverleibt, was blechbläst und Rhythmus hat.

Und so war’s:

„It’s a long way to the top if you wanna Rock’n’Roll!“

Seit Wochen geistert dieses Video durch’s Internet. Dick promotet vom Musikmagazin VISIONS hat Regisseur Thomas Schlagkamp, der sonst eher als Promo Producer bei RTL beschäftigt ist, eine Hommage an den Rock’n’Roll gedreht, die er groß aufgetragen als Manifest zu verkaufen versucht. Von der VISIONS dann auch gleich in einem Atemzug genannt mit Sven Regeners „Wir sind die Penner aus der letzten Reihe“-Wutrede beim Radiosender Bayern 2 gegen die um sich greifende Umsonst-Download-Kultur und die mangelnde Bereitschaft YouTubes, Künstler pro Klick adäquat an den Einnahmen zu beteiligen. Wie da – außer, dass beides mit Musik zu tun hat – der genaue Zusammenhang ist, weiß sicherlich VISIONS allein.

„Ich wollte zeigen, dass Musik nicht nur eine wertlose MP3-Datei auf dem Computer ist, sondern etwas sehr Wertvolles, für das die Menschen, die sie erschaffen haben, hart arbeiten müssen.“

sagt dann Schlagkamp selbstbeschreibend. Im Vergleich zu Regeners Beitrag, der deutschlandweit für eine weitreichende Debatte gesorgt hat, ist das cheesy Video dann doch zu kurz gegriffen. Werbefilmer halt. Sei’s drum. AC/DCs „It’s a long way to the top (if you wanna Rock’n’Roll)“ ist und bleibt ein großes Statement für das Musiker- und Tourleben. Und egal, wie kitschig das Video daherkommt, mit der Verpflichtung von Phil Anselmo (Pantera, Superjoint Ritual, Down) als Off-Sprecher bekommt das Ganze dann zumindest die tonale Credibilty, die den Bildern allein fehlt.

iLLBiLLY HiTEC „Reggaetronics“

Digipack Illbilly Druck-200
Quelle: Promo

Was ist das nur immer mit Berlin und dem Offbeat? Scheint hier die Sonne wie in Kingston, Jamaika? Nee. Könnte man sagen, Reggae, Ragga, Dancehall oder Dub gehören zur klassisch Berlinischen Musiktradition? Eigentlich nicht. Und doch scheint gerade dieses Repertoire im dicken B soviel Strahlkraft zu besitzen, pumpen Bands wie Culcha Candela, Seeed und zahllose andere Kombos seit über einem Jahrzehnt breitgefächerte Bässe in die Venen dieser Stadt. iLLBiLLY HiTEC sind auch so ein Fall. Der Name klingt erst einmal paradox, passt aber wie die bekanntliche Faust auf’s Auge. Denn die beiden DJs pimpen traditionelle Offbeat-Komponenten mithilfe feinstem Elektronikgebratze zu schön kantigen Reggaelectro-Karosserien. Auch wenn sie hierzulande nur wenige kennen, haben sich die Jungs durch Tourneen in Europa, Südamerika, Indien, Japan und Thailand bereits weltweit eine treue Fanbase erarbeitet. Die Liste der Kollaborationen, von Ce’cille aus Jamaika, Tribuman aus Frankreich bis zu Dactah Chando aus Teneriffa, liest sich daher inzwischen wie ein Who-is-who der internationalen Szene.

Quelle: Promo
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Denn iLLBiLLY HiTEC sind kein Soundsystem, das sich auf der Bühne trübe hinter den Reglern versteckt. Dank Live-Drums und hauseigenem Band-MC sind sie eine Bühnengewalt, die nach der Welt greift. Besagter MC Longfingah ist zudem Meister seines Fachs und hat das Jamaika-Kreolisch so tief intus, dass er eigentlich von klein auf mit Patwa-Vokabelhefter unterm Kopfkissen geschlafen haben muss. Wer so daumendick auftischt, verschafft sich Gehör und Anerkennung. Nun ist der längst fällige musikalische Ritterschlag erfolgt: Nicht nur, dass die Jungs derzeit der einzig offizielle Remix-Hoflieferant für Berlins royale Stadtaffen Seeed sind. Nein, Lee “Scratch” Perry – seineszeichens Cheftondreher der Black Ark Studios und damit quasi Mitbegründer von Reggae bis Dub – hat der Kombo die geweihte Dubsolution erteilt.

iLLBiLLY HiTEC “Reggaetronics” erscheint am 22.02. bei Echo Beach